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"Wir stehen vorm Generationenwechsel"

Interview: Vom 1. März bis 31. Mai finden Betriebsratswahlen statt. Gewerkschaftssekretär Robert Bange von der IG Metall spricht über die Situation der Betriebsräte in Gütersloh


Herr Bange, die Hans-Böckler-Stiftung sagt, 1996 vertraten Betriebsräte noch die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland. 2014 waren es nur noch 41 Prozent. Vor allem bei den mittleren Betrieben mit 50 bis 500 Beschäftigten lichten sich die Reihen. Wo sind sie denn, die Betriebsräte?

Robert Bange: Bei einer Beschäftigtenzahl bis 20 Mitarbeitern wählt die Belegschaft einen einzigen Betriebsratsvertreter. Das ist keine leichte Position, wenn man das alleine in Person macht. Viele trauen sich einfach nicht, weil sie Angst vor der Reaktion ihres Arbeitgebers haben.

Diese Angst ist ja nicht unbegründet, oder welche Erfahrungen haben Sie mit Arbeitgebern gemacht, in deren Betrieb ein Betriebsrat gegründet werden soll?

Bange: Auch Arbeitgeber fürchten Streit. Im Grundsatz sind sie der Meinung, dass man die innerbetrieblichen Probleme ganz gut ohne Betriebsrat lösen kann. Das ist aber ein Märchen. Gerade die großen Unternehmen und Konzerne wissen das sehr genau. Ist der Betriebsrat erst installiert, lernen viele Arbeitgeber die Institution zu schätzen. Oftmals sind es dann genau diejenigen Arbeitgeber, die sich vorher am meisten gegen den Betriebsrat gewehrt haben.

Weil es plötzlich doch gut läuft?

Bange: Weil sie nicht mehr mit der gesamten Belegschaft sprechen müssen, sondern nur noch mit einem gewählten Vertreter. Sie haben einen konkreten Ansprechpartner, und das ist auch für Arbeitgeber oft sehr angenehm, vor allem wenn es um komplizierte Sachverhalte wie Arbeitszeitregelungen oder Dienstplangestaltung geht.

Wenn Sie durchzählen, erleben Sie in Gütersloh und Umgebung einen Schwund bei den Betriebsräten?

Bange: Schwund stellen wir in der Geschäftsstelle Gütersloh-Oelde nicht fest. Aber wir stehen ganz deutlich vor einem Generationenwechsel. Viele langjährige Betriebsräte scheiden aus und gehen in den Ruhestand. Es ist eine große Aufgabe, neue und jüngere Kandidaten zu finden.

Klingt, als gäbe es das Prinzip: einmal Betriebsrat, immer Betriebsrat?

Bange: Eine Langfristigkeit gibt es dort, wo die Betriebsratstätigkeit mit einer Freistellung vom Job verbunden ist - also in den Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten. Das liegt in der Natur der Sache. Die Rückkehr in die berufliche Tätigkeit ist nach einer Amtszeit von vier Jahren ungewiss. Je nach Beruf fällt das leichter oder schwerer. Also entscheiden sich viele ganz bewusst für den Verbleib im Betriebsrat.

Das Durchschnittsalter der Betriebsräte ist also hoch?

Bange: Ja. Jüngere Arbeitnehmer wägen berechtigterweise ihr Karriererisiko ab. Aber der Nachwuchs ist schon auch da. Vielfach kommen sie aus der Jugend- und Auszubildendenvertretung JAV und engagieren sich dann weiter im Betriebsrat.

"Wir empfehlen Personenwahl statt Listenwahl"

Dann haben Sie in Gütersloh und Umgebung also zahlreiche Berufsbetriebsräte?

Bange: Das sehe ich nicht kritisch, denn die langjährige Amtszeit geht einher mit einer hohen Qualifizierung. Der Ansprechpartner von Betriebsräten ist in aller Regel die Geschäftsführung oder Personalleitung. Je besser die Qualifizierung, desto eher begegnen sich beide Betriebsparteien auf Augenhöhe. Das größere Problem besteht tatsächlich darin, dass die Betriebsräte einen Blick für die Betriebe untereinander bewahren. Was für die Beschäftigten in Firma x gut ist, muss für die Beschäftigten in Firma y noch lange nicht gut sein.

Es heißt, die AfD plant, die Betriebsräte zu unterwandern. Haben Sie aktuelle Erfahrungen dazu gemacht?

Bange: Wir haben das noch nicht festgestellt. Nach Betriebsverfassungsgesetzt ist im sogenannten Normalen Wahlverfahren Listen- oder Personenwahl möglich. Wir empfehlen die Personenwahl, weil die Wahlberechtigten über dieses Verfahren direkt Einfluss auf die Zusammensetzung des Betriebsrates nehmen können. Das verhindert unter Umständen eine Paketlösung, in der sich etwas Unliebsames verbirgt.

Was raten Sie interessierten Beschäftigten, die einen Betriebsrat im Unternehmen gründen möchten?

Bange: Sie sollen sich mit uns in Verbindung setzen, damit vorab über alles Notwendige gesprochen werden kann. Auch über Ängste. Als Gewerkschaft können wir die Betriebsratswahl auch im Betrieb initiieren, sofern ein Mitglied im Unternehmen vorhanden ist. Dann müssen die Beschäftigten selbst nicht in die Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber gehen.

Das heißt, Sie überbringen die Nachricht dann an den Unternehmer?

Bange: Ja. Vorab wird geprüft, ob überhaupt genügend Kandidaten für die Betriebsratswahl zur Verfügung stehen, bevor ein Wahlvorstand zur Durchführung der Betriebsratswahl gegründet wird. Das Schlechteste, das passieren kann ist, dass die Kandidaten namentlich im Unternehmen bekannt sind und dann zurückziehen müssen, weil die Wahl nicht stattfindet. Hier schützen wir Personen davor, in den Fokus des Arbeitgebers zu kommen.

Viele Gewerkschaften klagen über Mitgliederschwund. Sie auch?

Bange: Keinesfalls. Seit Herbst 2017 ist unsere Entwicklung top. Wir liegen deutlich über 15.000 Mitglieder in unserem Zuständigkeitsbereich der IG Metall Gütersloh-Oelde, und ab März wählen mehr als 100 Betriebe einen Betriebsrat.

Das Gespräch führte Jeanette Salzmann