Unter dem Motto „Stahl ist Zukunft“ haben heute in Duisburg 16.000 Beschäftigte der Stahlindustrie aus ganz Nordrhein-Westfalen für faire internationale Wettbewerbsbedingungen und sichere Arbeitsplätze für die Stahlindustrie in Europa demonstriert. Dafür ist es notwendig, dass die Billigimporte aus China wirksam bekämpft werden und geplante Maßnahmen zur Verteuerung von CO² Zertifikaten sowie der Eigenstromproduktion verhindert werden.
Knut Giesler, IG Metall Bezirksleiter für Nordrhein-Westfalen, betonte, dass Stahlindustrie unverzichtbar für die Sicherung einer leistungsfähigen und innovativen Industrie in Nordrhein-Westfalen sei. Wettbewerbsnachteile aufgrund der hohen Belastungen durch einen verschärften Emissionshandel oder durch Dumping-Konkurrenz aus China gefährdeten daher nicht nur die Stahlindustrie in ihrer Substanz, sondern auch den gesamten Industriestandort NRW.
Zudem müsse die EU-Kommission wissen: „Wer das Klima schützen will, muss den sauberen Stahl in Europa schützen“, so Giesler. Es sei doch absurd, die weltweit umweltverträglichsten Stahlwerke mit unerfüllbaren Auflagen zu versehen und den schmutzigen Stahlwerken damit in die Karten zu spielen. Alleingänge führten dazu, dass Produktion in Gebiete verlagert wird, in denen der Klimaschutz weniger ernst genommen werde.
Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen: „Hier im Norden von Duisburg stehen wir im Herzen der ‚Stadt Montan‘. Wir wollen, dass dieses Herz aus Stahl weiterschlägt. Denn: ‚Stahl ist Zukunft!‘ – Zukunft für unser Land, Zukunft für gute Arbeit und Zukunft für die Menschen hier im Ruhrgebiet und überall in Europa. Wir setzen uns in Berlin und Brüssel für die Stahlindustrie ein: Wir wollen Regeln, auf die sich die Unternehmen und ihre Beschäftigten verlassen können. Damit die Arbeitsplätze hier in NRW erhalten bleiben und sich Investitionen hier bei uns weiter lohnen.“
Günter Back, Betriebsratsvorsitzender der ThyssenKrupp Steel Europe AG, hob die Bedeutung der Stahlindustrie für den ökologischen Umbau hervor. „Die Beschäftigten der nordrheinwestfälischen Stahlindustrie sind der Motor des ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft. Sie haben mit ihrem Know-how dafür gesorgt, dass hier die weltweit saubersten Stahlwerke stehen. Und sie sorgen dafür, dass Stahl für Stromtrassen, Windräder oder schadstoffärmere Autos produziert wird. Darum sei jetzt eine europäische Politik der Vernunft gefordert. „Das Ziel muss heißen: Arbeitsplätze sichern, Umwelt schützen - durch sauberen Stahl aus Deutschland und Europa.“
Zeitungsbericht "Die Glocke" vom 12. April 2016
Stahlbranche ruft Politik zu mehr Hilfe auf
Die Stahlkocher machen ernst: Gestern haben sie die Produktion nicht nur beim größten deutschen Hersteller ThyssenKkrupp in Duisburg weitgehend gestoppt. Bundesweit gingen Zehntausende auf die Straße, um für ihre Arbeitsplätze zu protestieren. Was nach einem neuerlichen Arbeitskampf in der streikerprobten Branche aussieht, findet aber die volle Unterstützung der Stahlchefs, die - wie der Thyssenkrupp-Stahlvorstand -sogar mit auf die Straße gingen.
Grund für den nicht alltäglichen Schulterschluss ist eine Krise: Gemeinsam wollen Management und Belegschaften um Hilfe der Politik werben. Insgesamt spricht die IG Metall von bis zu 45 000 Demonstranten, einschließlich einer Protestveranstaltung mit rund 4000 Teilnehmern am vergangenen Donnerstag in Niedersachsen.
„Es geht um unsere Arbeitsplätze“, sagt der Vorsitzende des Thyssenkrupp-Stahl-Gesamtbetriebsrats, Günter Back. 2016 könne zum Schicksalsjahr der Branche werden. Auf der einen Seite machen ihr massenhafte Einfuhren von billigem Stahl aus China zu schaffen, auf der anderen Seite drohen noch höhere Kosten durch verschärfte Klima- und Energieauflagen in Europa. Jeder zweite Job könne verloren gehen, warnt der Betriebsrat. Allein in Duisburg beschäftigt der Industriekonzern rund 13 000 Mitarbeiter. „An jedem Stahl-Arbeitsplatz hängen vier bis fünf andere Stellen“, erklärt Back.
„Wir wollen, dass das Herz aus Stahl weiter schlägt“, rief NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) den Demonstranten zu. Auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) machte den Stahlkochern Mut. Zum Ruhrgebiet gehöre die Stahlindustrie, und das solle auch in Zukunft so bleiben, sagte er.
Bereits am frühen Montagmorgen war die Produktion bei ThyssenKrupp heruntergefahren worden. Während der Proteste kümmerte sich nur eine Notbelegschaft um die Anlagen. Bundesweit machten zehntausende Stahlarbeiter unter anderem in Berlin und dem Saarland Druck.
Im Februar hatten Stahlarbeiter und Manager in Brüssel bei der EU protestiert. Sie hatten auch schon Erfolg. Erste Strafzölle für einzelne Stahlsorten aus China sind eingeführt, bei anderen prüft die EU noch. Allerdings reicht das der Branche nicht. Es könne nicht sein, dass die wettbewerbsstarke deutsche Stahlindustrie untergraben werde von Dumping-Stahl und einer Verschärfung des Emissionsrechte-Handels, wettert Hans Jürgen Kerkhoff, der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl.
Hintergrund
Die deutsche Stahlindustrie hat einen heftigen Aderlass hinter sich. Ende 2015 arbeiteten in der Branche nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl rund 86 000 Menschen - 1980 waren es noch 288 000 gewesen. Gleichzeitig hat sich die Produktivität enorm erhöht. Denn die Rohstahlerzeugung ist seitdem nur leicht von 43,8 Millionen auf zuletzt 42,7 Millionen Tonnen gesunken. Mit einem Marktanteil von 2,6 Prozent liegt Deutschland auf Platz sieben in der Welt. Fast die Hälfte des Stahls wird inzwischen in China gefertigt. Der größte deutsche Hersteller ist Thyssenkrupp mit einer Jahres
Die deutsche Stahlindustrie hat einen heftigen Aderlass hinter sich. Ende 2015 arbeiteten in der Branche nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl rund 86 000 Menschen – 1980 waren es noch 288 000 gewesen. Gleichzeitig hat sich die Produktivität enorm erhöht. Denn die Rohstahlerzeugung ist seitdem nur leicht von 43,8 Millionen auf zuletzt 42,7 Millionen Tonnen gesunken. Mit einem Marktanteil von 2,6 Prozent liegt Deutschland auf Platz sieben in der Welt. Fast die Hälfte des Stahls wird inzwischen in China gefertigt. Der größte deutsche Hersteller ist Thyssenkrupp mit einer Jahresproduktion von zuletzt 12,4 Millionen Tonnen. Nummer zwei ist der Luxemburger Konzern ArcelorMittal mit einer Menge von 7,8 Millionen Tonnen in Deutschland. An dritter Position rangiert Salzgitter (6,8 Millionen Tonnen), gefolgt von den beiden saarländischen Stahlunternehmen Saarstahl (2,8) und Dillinger Hütte (2,4).
Zeitungsbericht "Neue Westfälische" vom 12. April 2016
Stahlkocher kämpfen um ihre Jobs
Proteste: Tausende Arbeiter gehen bei einem bundesweiten Aktionstag auf die Straßen. Die SPD-Politiker Gabriel und Kraft sagen ihre Hilfe zu: "Niemand ins Bergfreie"
Als der Protestzug zu den Werkstoren aufbricht, zünden die Azubis ein kleines Feuerwerk. Viele von ihnen arbeiten in der dritten oder vierten Generation in der Stahlindustrie, an Hochöfen oder Walzwerken, jetzt ziehen sie mit ihren roten Mützen und weißen Helmen die Aufmerksamkeit der Straße auf sich. Das Motto der Jugendorganisation der IG Metall prägt sich schnell ein: "Wir haben ein Herz aus Stahl."
Tausende Stahlkocher haben sich auf dem Beecker Markt in Duisburg versammelt, um zum Verwaltungsgebäude der ThyssenKrupp AG zu ziehen. Sie fürchten um ihre Arbeitsplätze. EU-Importe aus China haben sich in nur drei Jahren verdoppelt, durch Überkapazitäten ausgelöste Dumpingangebote sorgen für fatalen Preisdruck. Im Emissionshandel drohen verschärfte Regulierungen, der Ausstoß von CO2 soll teurer werden, damit er sinkt.
Auf dem Werksgelände steht eine große Kundgebungsbühne auf der sonnengefluteten Wiese, die IG Metall zählt allein in Duisburg 16.000 Menschen, die am Stahlaktionstag aus Protest ihre Arbeit niedergelegt haben. Bundesweit sind nach Angaben des Gewerkschaftsvorsitzenden Jörg Hofmann 45.000 Arbeiter auf der Straße. Die Europäische Union solle schnell einen "wirksamen Außenhandelsschutz" einführen, verlangt der IG-Metall-Chef.
In der "Herzkammer der europäischen Stahlindustrie", wie Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) seine Stadt nennt, zeigt sich Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ganz im Arbeitskampfmodus. Er sagt den Stahlarbeitern seine Unterstützung im Kampf um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu. Auch er erntet Beifall, als er "Anti-Dumping-Maßnahmen" einfordert. China solle sich wie alle Volkswirtschaften "fair verhalten". Den Europäern rät Gabriel einen couragierteren Auftritt. Wer sich klein mache, verliere.
NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), roter Blazer, spricht ihren Zuhörern Mut zu. Sie stellt den Wert der Stahlproduktion heraus, die für moderne Wirtschaftszweige, für "Wind, Roboter und Industrie 4.0" gebraucht werde. In den Augen von Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, ist der Werkstoff "systemrelevant für dieses Land". Kraft, selbst Mitglied der IG Metall, nimmt das Motto des Protests auf: "Wir wollen, dass das Herz aus Stahl weiterschlägt", ruft sie und verspricht: "Wir passen auf, dass niemand ins Bergfreie fällt."
Mit Blick auf den Emissionshandel warnt Vize-Kanzler Gabriel davor, Auflagen für jene, "die eh schon gut sind, weiter nach oben zu schrauben". Sonst entfiele am Ende beides: Jobs und Klimaschutz. Wer der Stahlindustrie zu viel aufbürde, "verhindert Investitionen und treibt die Branche in die Krise", sagt Hofmann. Es könne nicht sein, "dass wir in Europa Klimaschutz machen und am Ende die Deppen sind", poltert Link. Gabriel versichert, er werde "keinem Plan zustimmen, der die Zukunft der deutschen Stahlerzeugung gefährdet".
Im Ruhrgebiet hat das Vertrauen in die Politik nach einigen Schließungen großer Industriestandorte gelitten. "Warum sollte es hier anders sein als in Dortmund oder Bochum?", fragt ein Arbeiter aus der Reparaturwerkstatt von ThyssenKrupp und lächelt bitter. Auf dem Beecker Markt scheint die Angriffslust dagegen greifbar. "Ein zweites Rheinhausen lassen wir nicht zu", sagt Betriebsratsvize Tekin Nasikkol.
Metall-Arbeitgeber bieten 1,2 Prozent Lohnplus
Bei den Tarifverhandlungen für die deutsche Metall- und Elektroindustrie haben die Arbeitgeber in Düsseldorf ein erstes Angebot vorgelegt. Danach sollen die Gehälter der rund 700.000 Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen um insgesamt 1,2 Prozent steigen, wobei allerdings 0,3 Prozent auf eine Einmalzahlung entfallen würden, die nicht dauerhaft wirksam wäre. Der Tarifvertrag solle für die vergleichsweise kurze Dauer von zwölf Monaten abgeschlossen werden, wie es von der IG Metall verlangt worden war. Die Gewerkschaft hat für diesen Zeitraum ein Lohnplus von 5 Prozent verlangt. Die IG Metall wies das Arbeitgeberangebot als "Unverschämtheit" zurück.