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IG Metall spannt den Schirm

Jahresgespräch: Die Gewerkschaft machte 2015 unschöne Erfahrungen mit Unternehmen aus Rietberg. Eine Firma nimmt trotz Aussichtslosigkeit ständig Klagen in Kauf.

Eine Lohnsteigerung von 3,4 Prozent plus Einmalzahlung von 150 Euro - für die Beschäftigten der Metall- und Elektronindustrie war 2015 ein gutes Jahr. "Die Tarifrunden haben effektiv was in die Tasche gebracht", sagte Beate Kautzmann. Die 1. Bevollmächtigte der IG Metall Gütersloh-Oelde zog gestern ein positives Fazit des vergangenen Jahres und kündigte an, sich bei der Delegiertenversammlung Ende Februar für weitere vier Jahre zur Wahl zu stellen.

Der Ortsvorstand hat Kautzmann für die Wiederwahl vorgeschlagen. Die 54-Jährige leitet die größte heimische Gewerkschaft seit dem organisatorischen Zusammenschluss der beiden Verwaltungsstellen Gütersloh und Oelde 2012; zuvor war sie sieben Jahre Bevollmächtigte in Oelde. Die Delegierten kommen am 27. Februar im Reethus zusammen.

 

MITGLIEDERENTWICKLUNG

Die Zahl der Mitglieder blieb annähernd stabil; von 16.119 sank sie leicht auf 16.094. "Auch wir unterliegen dem demografischen Trend", sagte Kautzmann gestern beim Jahresgespräch; es fand erstmals in der neuen Geschäftsstelle in der Villa Hagedorn an der Bahnhofstraße 8 in Rheda statt.

Kautzmann wies auf einen erfreulichen Trend hin. "Wir haben 726 neue Mitglieder gewonnen." Das sei eine Rekordzahl, "die belegt, dass Gewerkschaft im Trend liegt." Unter den Neuaufnahmen seien 199 Auszubildende, auch das sei erfreulich. Die Touren durch die Berufskollegs im Kreisgebiet - zwei Wochen im Frühjahr, zwei Wochen im Herbst - mit Informationsveranstaltungen in den Klassen hätten sich bewährt. Sie werden dieses Jahr fortgesetzt.

In der Rückschau auf 2015 wiesen Kautzmann und Gewerkschaftssekretär Hans-Werner Heißmann-Gladow auf besondere Entwicklungen bei Firmen hin; teils erfreuliche, teils enttäuschende.

 

WESTFALEN MOBIL GMBH

Der Wohnmobilbauer, seit 2010 im Besitz der französischen Rapido-Gruppe, galt lange Zeit als akut gefährdet. Doch nun hat sich Rapido entschieden, die Arbeitsplätze nicht nach Frankreich zu verlagern, sondern den Standort Rheda-Wiedenbrück eher zu verstärken. Diese Entwicklung - seit einigen Wochen bekannt - ist das eine. Das andere: Die 2010 getroffene Entscheidung, die Logistik auszulagern, wurde nun revidiert. Der an die Firma Frenser Logistik (Lintel) outgesourcte Bereich wurde Anfang 2016 zurückgeholt, die Verträge mit Frenser gekündigt.

Die IG Metall schreibt sich an dieser Umkehr einen Beitrag zu. Frenser hatte das Lohnniveau gedrückt, indem es laut Gewerkschaft nach Verdi-Tarifvertrag zahlte, und teilweise nicht mal das. De facto lagen die Löhne um fast 50 Prozent niedriger als zuvor bei den Metallerlöhnen. In einem Warnstreik von anderthalb Tagen machten die Frenser-Beschäftigten deutlich, was sie davon hielten; ohne Wareneingang und ohne Bestücken der Bänder führte das dazu, dass die Produktion bei Westfalen Mobil still stand. Der Wohnmobilbauer - diese Konsequenzen und den allgemeinen Ärger leid - zog nun den aus Gewerkschaftssicht erfreulichen Schluss, das Outsourcing zu beenden.


LEAR CORPORATION GMBH

Keine erfreuliche Geschichte. Die Gewerkschaft geht davon aus, dass der Hersteller von Autositzen in Rietberg-Neuenkirchen keine Zukunft mehr hat und seine Produktionslinien nach Polen und in die Slowakei verlagert. 500 Beschäftigte verlieren ihren Arbeitsplatz, davon 120 Leiharbeitnehmer. Einziger Trost: Der Gewerkschaft ist es gelungen, einen Sozialtarifvertrag auszuhandeln - in dieser Form und dieser Größenordnung ein Novum.

Der Sozialtarifvertrag enthält verbindliche Vereinbarungen, die für alle 384 Stammkräfte bis Ende 2020 gleiche Bedingungen garantieren. Jeder Arbeitnehmer, der seinen Arbeitsplatz verliert, erhält eine Abfindung, die sich aus einem Zwölftel des Jahreseinkommens und den Beschäftigungsjahren im Unternehmen ergeben - und das ist erklecklich mehr als die übliche Abfindung. Hinzu kommt - auch das ist in dieser Dimension neu - eine Zusatzabfindung für Gewerkschaftsmitglieder. Dieser Topf ist mit zwei Millionen Euro ausgestattet - was einem Bonus von circa 7.000 Euro entspricht. Insgesamt ist der Abfindungstopf mit einer Summe gefüllt, die zwischen 60 und 70 Millionen Euro liegen dürfte.

Gewerkschaftssekretär Hans-Werner Heißmann-Gladow spricht von einem "Super-Ergebnis". Es durchgesetzt zu haben, sei nur dank des hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrades möglich gewesen. Die Einigung setze Maßstäbe, auch weil es gelungen war, eine Transfergesellschaft auf den Weg zu bringen, die mit 5,25 Millionen Euro im Rücken ausgeschiedenen Mitarbeitern helfen soll, einen neuen Job zu finden.

Einen Stopp der sukzessiven Verlagerung von Produktionslinien habe die IG Metall freilich nicht verhindern können. Die Konzernmutter werde an das Lear-Werk in Neuenkirchen keine neuen Aufträge geben, die Produktion laufe aus. Bevor die frühere "Nosag" von Lear Corporation aufgekauft wurde, waren in dem Unternehmen einst bis zu 800 Mitarbeiter beschäftigt.

RÖHR-BUSH MANAGEMENT GMBH

Noch unerfreulicher. Auf der Gewerkschaftsliste der Unternehmen, die am häufigsten die Rechte der Arbeitnehmer missachten, liege der Mastholter Möbelhersteller unangefochten auf Platz eins, und das schon seit Jahren. "Röhr-Bush ist ein Unternehmen, das immer wieder Klagen produziert", sagt Heißmann-Gladow. 2015 hätten Arbeitnehmer 90 Klagen gegen ihren Arbeitgeber eingereicht. In 78 Fällen hätten die Arbeitnehmer gewonnen, die anderen zwölf würden erst dieses Jahr entschieden. Stets gehe es um Geld, das den Beschäftigten vorenthalten wurde, seien es Weihnachts- und Urlaubsgeld oder Tariflohn.

Auf die Frage, ob ein Arbeitnehmer erfolglos gegen Röhr-Bush geklagt habe, antwortete Heißmann-Gladow mit "Nein". Die Ansprüche der Arbeitnehmer seien vollkommen klar und unstrittig. Das Unternehmen verliere daher jede Klage, dennoch ändere es sein Gebaren nicht.

"Wir verstehen das nicht", sagte Heißmann-Gladow, "das ergibt keinen Sinn." Zahlen müsse Röhr-Bush sowieso, und durch die ständigen Anwalts- und Gerichtskosten werde es nur noch teurer. Allmählich stelle sich die Frage, ob Röhr-Bush nicht eine Art Rechtsmissbrauch betreibe, wegen unnötiger Beschäftigung der Arbeitsgerichte.

Bei Röhr-Bush arbeiten mehr als 200 Beschäftigte. Vor anderthalb Jahren haben im Zuge eines Management-Buy-Outs der Geschäftsführer Helmut Roth und der kaufmännische Leiter Paul Hemingway die Geschäftsanteile der amerikanischen Muttergesellschaft Bush Industries Inc. übernommen; sie leiten gemeinsam die Geschäfte.


RIETBERGWERKE GMBH & CO. KG

Der Feuerverzinker, Tochter der Rietberger Seppeler-Gruppe mit mehr als 200 Beschäftigten, hat zur Überraschung der Gewerkschaft im vergangenen Jahr seine Tarifbindung bei der Fachgruppe Metall aufgekündigt. Tariflich bezahlt werde aber weiterhin.

Heißmann-Gladow sagte, der Schritt von Geschäftsführer Kai Seppeler sei schwer nachzuvollziehen. Vor ungefähr 15 Jahren habe dessen Vater gleiches getan, sich dann aber zu einer Rückkehr in die Tarifbindung bewegen lassen. Die Gewerkschaft hoffe, dass auch dieses Mal wieder Einsicht einkehre. Andernfalls gehe sie Anfang Mai, nach Auslaufen der Friedenspflicht, in die Tarifauseinandersetzung.