Leiharbeit hat einen schlechten Ruf. Niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und keine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt – das sagen Kritiker. Eine 47 Jahre alte Oelderin (Name der Redaktion bekannt) kann diese Einschätzung bestätigen – und geht mit Hilfe eines Rechtsanwalts gegen ein Zeitarbeitsunternehmen vor.
Die Frau, die seit September bei einem Zeitarbeitsunternehmen beschäftigt ist, erkrankt im November – bescheinigt vom Arzt – für fünf Arbeitstage. Die Überraschung kommt kurze Zeit später mit der Lohnabrechnung: Dort sind nur zwei Krankheitstage vermerkt, die übrigen drei Tage werden der Frau von ihrem Überstundenkonto abgezogen.
„Das ist nicht rechtens“, sagt der Lebensgefährte der Frau – auf seinen Rat hin schaltet die Oelderin eine Anwältin ein. Mit Erfolg: Die Zeitarbeitsfirma bucht die Stunden zurück. „Nur weil ich mich gewehrt habe“, sagt die 47-Jährige im Gespräch mit der „Glocke“. Sie glaubt, dass vergleichbare Fälle häufig vorkommen: „Viele Arbeitnehmer wehren sich nicht, weil sie um ihren Job fürchten.“
„Das ist so“, bestätigt Robert Bange, Gewerkschaftssekretär der IG Metall Gütersloh-Oelde in Rheda-Wiedenbrück. „Manche Zeitarbeitsfirmen verstoßen systematisch gegen Arbeitnehmerrechte“, ist er überzeugt. Bange ist für die Gewerkschaft in der Rechtsberatung aktiv und kennt aus der Berufspraxis zahlreiche Einzelfälle.
Die Möglichkeiten von Zeitarbeitsfirmen, Druck auf Mitarbeiter auszuüben, sind Bange zufolge vielfältig. Unliebsame Arbeitnehmer etwa erhielten Stellen in großer räumlicher Entfernung vermittelt. Bei den gezahlten Niedriglöhnen sei etwa schon das Angebot einer Stelle in Köln für Leiharbeiter aus der hiesigen Region abwegig. In solchen Fällen kündigen Zeitarbeiter von sich aus.
Immer wieder gibt es laut dem Gewerkschaftssekretär auch Unstimmigkeiten bei der Eingruppierung der Arbeitnehmer – mit drastischen Auswirkungen auf die gezahlten Löhne: Ein Facharbeiter erhält in der Leiharbeit 11,83 Euro in der Stunde. Wird er jedoch als Hilfsarbeiter eingestuft, erhält er gerade einmal 9,49 Euro.
Die Oelderin hat nach dem Einschalten eines juristischen Beistands zwar Recht bekommen – auf dem Anwaltshonorar in Höhe von 200 Euro bleibt sie jedoch sitzen. Gewerkschaftssekretär Bange rät zur Mitgliedschaft in der Arbeitnehmervertretung – für ein Prozent des Bruttogehalts gebe es dann unter anderem den Rechtsschutz.
Die Oelderin zieht andere Konsequenzen. Sie will der Zeitarbeit den Rücken kehren und sich auf eigene Faust eine gute Stelle suchen.
Hintergrund
Die Zahl der Leiharbeiter in Deutschland ist nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums seit 2007 innerhalb von zehn Jahren um 43 Prozent gestiegen. Ende 2017 waren 1 031 589 Menschen in dieser Beschäftigungsform tätig. Das waren fast 39 000 mehr als Ende 2016 und ein neuer Höchststand.
Ende 2007 hatte die Zahl der Leiharbeiter bei 721 345 gelegen. In den Kreisen Gütersloh und Warendorf waren zum Ende des Jahres 2017 insgesamt 10 762 Menschen in der Zeitarbeit tätig; zehn Jahre zuvor waren es 5871.
Der Anteil an der Gesamtbeschäftigung habe Ende vergangenen Jahres bei 2,8 Prozent gelegen. In der Metallbearbeitung oder im Lager- und Postbereich sei er mit 14,9 beziehungsweise 12,0 Prozent deutlich höher gewesen. Bundesweit gibt es nach Angaben des Interessenverbands Deutscher Zeitarbeitsunternehmen 12 000 Leiharbeitsfirmen.
Leiharbeit soll Betrieben die Flexibilität ermöglichen, kurzfristig Personal aufzustocken. Sie soll vor allem Langzeitarbeitslosen und Geringqualifizierten die Chance bieten, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Leiharbeiter erhalten einen deutlichen geringeren Lohn als andere Arbeitnehmer. 2017 betrug der mittlere Bruttolohn von Vollzeit-Leiharbeitern nach Angaben des Arbeitsministeriums im Schnitt 1868 Euro monatlich, der von allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten 3209 Euro. Die Bundesregierung weist jedoch darauf hin, dass dafür auch die häufig geringere Qualifikation und Berufserfahrung verantwortlich seien sowie der hohe Anteil von gering bezahlten Helfertätigkeiten. (be)
Wolfram Linke, Sprecher des Interessenverbands Deutscher Zeitarbeitsunternehmen in Münster, weist grundsätzliche Kritik an der Zeitarbeit zurück. Der Fall der Oelderin, der wegen der Krankheitstage Überstunden gestrichen wurden, sei nicht die Regel. „Es gibt schwarze Schafe“, räumt Linke ein, „aber die wollen wir nicht in unserem Verband haben.“
Linke verweist auf die Kontakt- und Schlichtungsstelle (Kuss) zur Zeitarbeit. Ein dreiköpfiges Gremium entscheide dort über Streitfälle. Arbeitnehmer könnten sich mit ihren Problemen an die Stelle wenden. „Die klären das“, sagt Linke.
Die Schlichtungsstelle erreichten im Vorjahr nach eigenen Angaben 331 Anfragen. In sieben Fällen wurde die Einigungsstelle einberufen. In zwei Fällen einigten sich die Beteiligten – in fünf Fällen wurden Mitgliedsunternehmen aus dem Verband ausgeschlossen.
Die Glocke, 05.02.2019 Texte und Fotos aus der Glocke sind urheberrechtlich geschützt. Weiterverwendung nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion